Quer durchs „Eachtling-Land“

Der Lungau wird für seine unberührten Naturlandschaften geschätzt. Bekannt ist er aber auch für die  nur hier wachsenden, kräftigen und wohlschmecken Erdäpfeln. Einheimisch werden sie als „Eachtling“ benannt. Und wer im Lungau jemals gewesen ist, sollte zumindest ein regionales Erdäpfelgericht gegessen haben. Wer das unterlässt, hat sich einer kulinarischen  Todsünde schuldig gemacht. Dritter Bekanntheitsgrund des von den Hohen Tauern eingebetteten Tals sind die noch immer hellwachen, alten Volksbräuche. In dem jahrhundertelang verkehrsmäßig abgeschotteten Gebiet, hat sich vieles erhalten, was im urbanen Bereich um und in der Stadt Salzburg verloren gegangen ist.

So ein Brauch ist etwa das „Samson-Tragen“. Der Samson ist ein Riese, der bei Festumzügen mitgetragen wird. Mit Musikbegleitung tanzt er vor jedem Gasthaus den „Samsonwalzer“. Eigentlich ist der Samson eine Figur aus dem Alten Testament mit übermenschlichen Kräften. Symbolisch stellt der Samson den Kampf der Juden gegen die Philister dar. Seine Geliebte, eine Philisterin, verriet den Feinden, dass die Kraft von den Haaren Samsons kommt und so wurde er der übernatürlichen Kraft beraubt. Der Unternberger Samson ist 5,2 Meter hoch und hat ein Gewicht von 90 kg. Am Ulrichsprangtag, im Juli jeden Jahres, zieht er durch die Lungauer  „Murgemeinde“.

Der 5,2 Meter hohe und 90 kg schwere Samson von Unternberg im Modell. Als einziger Riese im Lungau salutiert er.

Zum Lungauer Brauchtum gehört auch das Abbrennen des Osterfeuers. Es ist ein keltischer Brauch, der vom Christentum zu Ostern übernommen wurde. Ursprünglich huldigten die Menschen der Göttin „Ostara“ mit einem eigenen Lichtfest. Das in Blockbauweise errichtete Osterfeuer wird in der Nacht zum Ostersonntag abgebrannt. Das Feuer glüht aber noch lange in den nächsten Tag hinein. Eine Spezialität des Osterfeuers kann die Gemeinde Unternberg vorweisen. Sie zimmern ein gedrehtes Osterfeuer. Eine „Wendeltreppe in den Himmel“, wie sie schmunzeln.

„Wendeltreppe in den Himmel“ – das Osterfeuer in Unterndorf wird in gedrehter Blockbauweise aufgerichtet.

Auf meinem Weg entlang der Mur nach Tamsweg komme ich am Weiler  „Neggerndorf“ vorbei. Genervt von vielen Debatten um des „Kaisers Bart“ im Landtag, ausgelöst von der „Gutmenschpartei“, kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen: wie würden sie, wenn sie nur könnten, das Dorf umbenennen?

Was würden wohl die selbsternannten „Gutmenschen“, die zwar Meinungsfreiheit predigen, aber nur ihre Meinung gelten lassen, aus dieser Ortstafel machen, wenn sie dürften, wie sie wollten?

Am Ende der heutigen Wanderung erreiche ich die Lungauer Metropole und Hauptstadt „Tamsweg“. Dort führt mein Weg zur Wallfahrtskirche „Stankt Leonhard“, wo ich von der Mesnerin herzlich empfangen und sogar zum Geburtstagsessen der Enkelin eingeladen werde. Marianne Resch ist seit 54 Jahren Mesnerin in der Wallfahrtskirche. Ich wurde also gerade einmal geboren, als sie ihr Amt antrat. Erzabt Korbinian Birnbacher kennt sie persönlich. Beim Abschied ersucht sie mich, ihm die allerbesten Grüße von der Mesnerin auszurichten. „Er kennt mi eh guat“, wie sie zum Abschied winkend versichert.

Auf der Hausbank mit der Mesnerin Marianne Resch. Sie ist seit 54 Jahren in der Wallfahrtskirche St. Leonhard oberhalb von Tamsweg im Amt.

 

 

Wohlfühlwandern und „Voitl“ – der Bischof vom Lungau

Der Reiz, der Almenlandschaften ist in der zweiten Augusthälfte ganz besonders stimulierend. Die klare Sommerluft, der Morgentau, das eine oder andere reinigende Gewitter, der Geruch von Wald und reifen Wiesenkräutern, das „Muh“ und die Almglocken der Kühe und das „Mäh“ der Schafe sind die Zutaten für „Einfach Wohlfühlen“ beim Gehen. In der alpinen Grenzregion Kärntens zu Salzburg, oberhalb von 1700 m Seehöhe, ist der Morgen zu dieser Jahreszeit schon „erfrischend“. Lederhose und Sportleiberl kleiden trotzdem hervorragend,  zumal das „Bergaufgehen“ den Körper mehr als wärmt. Der Weg von den Kärntnerischen Nockbergen führt direkt ins Schönfeld im Lungau. Eine wunderbare Gegend!

Alter, Lungauer Heuschober

Früher wurde hier Erz abgebaut. Bei der „Merlhütte“ des Alpenvereins auf 1750 m erfahre ich, dass im Jahre 1815 die „Lungauer Gewerkschaft“ den Erzabbau übernahm… Eine so frühe Gewerkschaft im Lungau, schon Anfang des 19. Jahrhunderts? Die Wiener Arbeitergewerkschaft wurde erst Ende des Jahrhunderts gegründet. Die Lösung: Im Lungau war die Gewerkschaft keine Arbeitervereinigung gegen Unternehmer, sondern eine Betriebsgemeinschaft zum gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg. Bis zu 15 Tonnen Rohschmelzung konnten pro Tag errreicht werden. Trotzdem musste der Betrieb 1885 wieder eingestellt werden. Die verkehrstechnisch ungünstige Lage – damals vielleicht gefühlt am Ende der Welt –  und die schwierige Verhüttbarkeit des schwefelreichen Erzes waren ausschlaggebend.

Alte Bergabbau-Anlage vor dem Bundschuh-Tal.

Heute, ohne der lange vergangenen Eisenverhüttung ist das Land eine sanfte, ruhige, anschmiegsame Tourismusregion geworden. Auf meiner Wanderung im „Bundschuhtal“ verspüre ich das auf Schritt und Tritt an den „Tier- und Naturschönheiten“, wie sie mir begegnen und Ruhe und Ausgeglichenheit ins „einfach Dasein“ bringen.

Neugieriger „Zaungast“ begutachtet den Wanderer. Leider hatte ich keine Karotten im Rucksack.

Von der Ortschaft „Bundschuh“ führt mein Weg schnurstracks ins Thomatal. Die gleichnamige Ortschaft hat eine Kirche, ein Gemeindeamt und einen Wirt. Das wars an Infrastruktur! Der frühere Bürgermeister war in den 80er und 90er Jahren das Idol für freiheitliche Gemeindepolitik im ganzen Land Salzburg, wurde er doch mit absoluter Mehrheit gewählt, was seither keinem Freiheitlichen mehr in Salzburg gelang.

Die kleine Ortschaft hatte aber bis 2004 einen noch viel bekannteren Bewohner, als den Bürgermeister. Einen weit über die Gemeindegrenzen, ja ich darf schreiben über die Landesgrenzen hinaus bekannten Pfarrer.  Valentin Pfeifenberger, kurz „Voitl“ gerufen. Weil er so bekannt und so beliebt war, nannte der Volksmund den Priester liebenswürdigst den „Bischof des Lungaus“.  Seinen Bekanntheitsgrad verdankte er der in Mitteleuropa wohl einzigartigen Palmsonntagprozession. Jedes Jahr ritt er auf einem Esel in Anlehnung an den Einzug Jesu Christi nach Jerusalem durch die österlich geschmückten Straßen seiner Gemeinde.

Ich selbst durfte ihm – ich glaube es war so um die Jahrtausendwende – im Gasthaus Grübl, so heißt das einzige Gasthaus im Thomatal, die Hand schütteln, wobei er beim Abschied sagte: „Meinen Segen hast du!“ Damit hob ich mich nicht etwa besonders hervor, sondern es war seine Art „Bua, du passt scho“ zu sagen.  Damals war er schon hochbetagt, immerhin Jahrgang 1914, jedoch funkelte ihm noch immer der Schelm aus den Augen. So konzentriert und hochwürdigst er die Religion ausübte und die Messen las, so herzlich und lustig war er im übrigen Leben. Man musste den Gottesmann einfach mögen. Einer seiner vielen Witze bleibt legendär: „Ein Freund von mir ist im Schlaf gestorben. Für ihn war das sehr schön. Für den Beifahrer war es aber weniger schön!“ Seine einmalige Art zu lachen, so hoch wie er kicherte kann nur der im Ohr haben, der es jemals hörte. Für eine wirklich aussagekräftige Beschreibung fehlen mir die Worte, so einzigartig war der fröhliche, ja fast kindliche Klang seines Lachens.

Ob es stimmt oder nicht, kann ich heute nicht mehr sagen. Aber damals sagte man mir im Gasthaus, dass der „Voitl“ noch immer ohne Strom und Warmwasser im Pfarrhaus lebe. Der verfilzten grauen Haarpracht und der Geruchsnote nach, könnte es aber gestimmt haben. Doch die so gute und freudige Art „Hochwürdens“ übertünchte das Nichterreichen heutiger Körperpflegestandards. Mir, wie so vielen, die ihn gekannt haben, wird der Bischof vom Lungau immer unvergesslich bleiben.

Statue vor dem Pfarramt Thomatal: Valentin Pfeifenberger, „Voitl“, genannt der „Bischof des Lungaus“ – beim ostersonntägigen  Eselritt, der den Einzug Jesu nach Jerusalem symbolisiert.

 

Im Biosphärenpark

Während meiner Gehzeit in den Kärntner Nockbergen werde ich immer wieder mit dem Begriff „Biosphärenpark“ konfrontiert. Er ist unübersehbar an jeder Ortstafel angebracht. Eigentlich habe ich das Wort schon oft gehört, zumal ja auch Lungauer Gemeinden zu dieser Region mit UNESCO-Auszeichnung zählen. Aber ganz genau wusste ich den Begriff doch nicht zu erklären. Nun bin ich schlauer geworden. Es handelt sich dabei um eine „Modellregion für nachhaltige Entwicklung“. Sie beinhaltet die Einbeziehung des Menschens, der Umwelt, der Wirtschaft und der Tradition in den zu schützenden Lebensraum. Und genau diesen Eindruck vermitteln weite Strecken meines Weges heute. Ständig werde ich begleitet von wild springenden Bächen. Alte, traditionelle Bauernhöfe tauchen immer wieder auf und je weiter ich nach oben komme, Almen so weit das Auge reicht.

Skeptische Almkuh mit Glocke

Die Almen, die Sennerinnen, die Kühe sind eine „herzaufgehende Augenweide“. Aber auch in der Nase tut sich was. Lärchen- und Zirbenwälder breiten ihren entspannenden Duft aus. Das Gesamtkonzept Mensch-Natur stimmt hier einfach.

Urtümliche Holzbrücke am Wanderweg durch den Biospährenpark

Von einer kirchlichen und weltweiten Einzartigkeit kann ich heute auch noch berichten. Von der „Geteilten Kirche“ spreche ich im konkreten. Die geteilte Kirche am Kreuzbichl wird durch eine befahrene Straße geteilt. Auf der einen Seite ist der Altarraum und auf der anderen Straßenseite das zweigeschossige Kirchengestühl für die Besucher der Messe. Der Altarraum befindet sich etwa zwei Meter über Straßenniveau. Die Bäuerin in der Nachbarschaft sagt mir, dass die Kirche früher einmal nur eine Kapelle gewesen sei. Die Betenden wollten aber nicht Sturm und Wetter ausgesetzt sein. So baute man gegenüberliegend die Betstühle. Auch sollen zum Tode verurteilte auf dem Weg zum Galgenbichl an der Kapelle innegehalten haben, um ihre Gebete zu verrichten. Die Kapelle wurde sicher auch von Kaufleuten aufgesucht, um Dankgebete für die erfolgreiche Überquerung der Alpen und dem Ausbleiben von Raubüberfällen, zu leisten. Der Weg selbst ist die alte Römerstraße über die Alpen.

Die „Geteilte Kirche“. Links der Altarraum – rechts das Betgestühl für die Besucher. Mittendurch für die Gemeindestraße.
Sicht auf die „Geteilte Kirche“ aus der anderen Seite. Betgestühl links und Kirchenraum rechts.

Gendarmerie-Platz und Künstlerwerkstätten

Die alte Stadt aus Natursteingemäuern „Gmünd“ kann ein gewaltiges und vielfältiges Kulturleben vorweisen. Besonders interessant ist das „Pankratium“, wo zur Zeit das „Obertonfestival“  stattfindet. Mit hohen Musiktönen, sei es mit Gläsern oder selbst fabrizierten „Musikmaschinen“, etwa aus einer Nähmaschine, werden Musikstücke aus der Klassik, aber auch der Moderne zum Besten gegeben. In einem anderen Raum „hängt der Himmel voller Geigen“. Wieder in einem anderen kommen in der Dunkelheit Gestalten auf einen zu. Der  Besucher scheint zu glauben, dass er es mit fluoreszierenden Wesen aus der Tiefsee zu tun hat. Und weiter: Klangschalen mit Wasser gefüllt werden nur durch leichtes Streichen mit den Fingern überraschende Töne entlockt. Das Haus nennt sich auch „Haus des Staunens“, was auf mich  mehr als zutrifft, soweit sind meine Augen vor Erstaunen aufgegangen.

Spannende Motive im „Haus des Staunens“ – fluorisierende Geschöpfe der Tiefsee glaube ich hier zu sehen.
Die Musik-Nähmaschine: Fußantrieb mit Saite oben am Tisch und Grammophon-Übertragung.  Mozarts „Kleine Nachtmusik“  erklingt damit ganz besonders.
Gasse mit den Künstlerwerkstätten in Gmünd.

Neben diesem großen Herzen für die Kunstszene hat Gmünd noch eine andere Einzigartigkeit zu bieten. Einen nach der Gendarmerie benannten Platz, nahe der Künstlergasse. Alt-Postenkommandant Helmuth Unterasinger und Bürgermeister Josef Jury schufen mit dem „Gendarmerieplatz“ ein dauerndes Andenken an den 2005 aufgelösten Wachkörper, der 1849 von Kaiser Franz Joseph II ins Leben gerufen wurde.

Der Gmündner Bürgermeister Josef Jury empfängt mich am „Gendarmerieplatz“.

Warum installierte der junge Franz Joseph die Gendarmerie als zivilen Wachkörper, der nach dem Muster des Militärs organisiert war, obwohl die Habsburger doch Jahrhunderte ohne einer derartigen Institution ausgekommen sind?

Entscheidend war das Jahr 1848 mit der damals stattgefunden „Bürgerlichen Revolution“.  Dieses Jahr wird auch mit dem Begriff „Bauernbefreiung“ in Verbindung gebracht. Die Bauern waren nunmehr ihre eigenen Herren und die Grund- und Leibherrschaft des Adels ging zu Ende. Die Grundherren hatten aber bis dahin auch die Verwaltung und die einfache Gerichtsbarkeit zu vollziehen. Um das entstandene „Rechts-Vakuum“ zu schließen, wurden Bezirksgerichte und Bezirkshauptmannschaften eingerichtet, die diese Aufgaben zu übernehmen hatten.  Da natürlich nicht in jedem Dorf ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde eingerichtet werden konnte, übernahm die Gendarmerie die Funktion des „Organs der Gerichte und Behörden“. Und ganz was Neues gab es auch noch: „Gleiches Recht für Alle!“. Bis 1849 hatte jeder Stand sein eigenes Recht. Der Adel, die Bürger, die Bauern und natürlich der Klerus. Das eigene Kirchenrecht besteht bis heute.

Nach der Grundausbildung in der Gendarmerieschule auf der Burg Hohen Werfen, trat ich meinen ersten Dienst am 1. September 1984 auf dem Gendarmerieposten Henndorf am Wallersee an. Es war gleich eine spannende Zeit. Das Ortsgebiet war für LKW gesperrt, weil die Bundesstraße erneuert wurde, wodurch es zu vielen Konflikten kam. Und: Bürgermeisterwahlen standen im November an. Postenkommandant Franz Winklhofer bewarb sich um das Amt des Bürgermeisters und wurde auch gewählt. Wegen der zu befürchtenden Interessenskonflikte im Tätigkeitsfeld eines Gendarmen und eines Politikers folgte die Versetzung ins Landesgendarmeriekommando. So begann für mich als junger Gendarm sofort eine große Eigenständigkeit. Sogar den Dienstplan machte ich mir im zweiten Monat des exekutiven Außendienstes schon selbst. Aber auch eine erste positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung konnte ich mit der „Dankespostkarte“ eines Rollstuhlfahrers verzeichnen.

Dankeskarte für die Hilfsbereitschaft des jungen Gendarmen Helmut Naderer; abgestempelt am 31.10.1984.

In 35 Jahren Gendarmerie- bzw. nunmehr Polizeidienst erlebt man so einiges. Ein paar Beispiele?  Einmal schraubte ich von einem Auto die Kennzeichen vorne ab. Die Lenkerin wollte die Kennzeichenabnahme wegen „glatzerter Reifen“ nicht akzeptieren, startete und fuhr los. Sie übernahm mich mit der Schnauze ihres 2CV volley. Ich konnte mich abrollen und blieb unverletzt. Die Lederjacke und die Hose hatten Straßenstaub abbekommen. Die Kronenzeitung titelte: „Gendarm als Kühlerhaubenfigur“.

Tragischer endete da schon eine Auseinandersetzung zwischen zwei Männern des „Fahrenden Volks“. Nach einer Eifersuchtsszene schlitzte der eine dem anderen den Bauch auf. Bei meinem Eintreffen im Gastlokal lagen die Gedärme neben dem Mann. Er war aber ansprechbar. Der Notarzt steckte alles wieder in Bauchraum und der Mann überlebte, freilich mit einer großen Naht am Bauch seither.

Nach einer Großfahndung mit Hubschrauber konnte ich einen Mörder festnehmen. Er hatte zuvor seine Schwester mit 20 Messerstichen im Badezimmer ermordet. Ich war der erste Gendarm am Tatort. Ein schrecklicher Anblick. Schnell konnten wir die Spur des Täters ausfindig machen und ich selbst nahm die Verhaftung des Mörders vor.

Tragisch war auch der Mord am Polizisten Norbert Brüll im Jänner 1993 bei Salzburg-Nord. Der Mörder und Räuber flüchtete anschließend mit dem Polizeiauto auf der Autobahn nach Thalgau. Dort wurde ich auf der Autobahnbrücke Augenzeuge des Schusswechsels zwischen einer Zivilstreife und dem Flüchtenden, der dabei erschossen wurde.

Auch die Einsatzfahrt zu einer Messerstecherei endete tragisch. Ein Pensionst überquerte in der Dunkelheit die Straße. Der dunkel gekleidete Mann konnte von uns im Blaulichtschein erst viel zu spät erkannt werden. Die Kollison mit dem Einsatzfahrzeug auf meiner, der Beifahrerseite überlebte der Senior leider nicht. Nach Realisierung der Situation, schaute ich sofort, dass der junge Einsatzfahrer von der Unfallstelle weggebracht wurde und ich übernahm die weiteren Maßnahmen, was schwer genug war.

Besser waren da schon die Nachrichten des Ombudsmann Reinhard Hübl. Er titelte 1991 in der Krone dankbar: „Gendarm auf Dach“. Eine Asthmatikerin hatte sich aus dem Haus gesperrt und konnte nicht mehr zu ihren Medikamenten. So holte ich eine Leiter vom Nachbarn und stieg über die Dachluke ins Haus ein, um die Türe zu öffnen. Frau gerettet!

Während der Jugoslawienkrise hatten wir alle Hände voll zu tun. Die Kriminalität schien ins Uferlose zu steigen. Diebstähle, Einbrüche, Körperverletzungen und Handgreiflichkeiten standen an der Tagesordnung. Viele der Männer waren nicht zimperlich, sie kamen oft direkt aus den Kriegsgebieten und waren härteste Brutalität gewöhnt. Inklusive illegaler Waffen und Handgranaten. Die Eigensicherung der Gendarmen wurde plötzlich ganz wichtig. Natürlich waren neben  Gewalttätern auch so manche „Schlitzohren“ unter den Flüchtlingen. Einem konnte ich das Handwerk legen. Der Mann hatte in seiner Lederjacke zwei Geheimtaschen. In einer war sein „Bosnischer Reisepass“ und in der anderen sein „Kroatischer Reisepass“. Der Bosnische berechtigte ihn zum Bezug von Sozialhilfegeld als Flüchting, der Kroatische wiederum ermöglichte ihm die Arbeitsaufnahme in Österreich. Je nach Amt, wo er vorsprach, Sozialamt, Arbeitsamt, Polizei benützte er den für ihn günstigsten Ausweis. Für die Enttarnung des Sozialbetrügers wurde ich vom Landesgendarmeriekommandanten mit einem Belobigungszeugnis ausgezeichnet.

Ich glaube insgesamt acht Auszeichnungen für besondere, kriminalistische Leistungen habe ich bisher erhalten. Es würde hier zu weit führern, alle zu erörtern.

Mein Resümee nach so viel Jahren im Exekutivdienst? Ich bin froh diesen Beruf ergriffen zu haben. Es ist ein Beruf mit viel Abwechslung. Leider auch mit sehr traurigen Seiten, wenn ich etwa an die Unfälle mit tödlich Verletzten denke. Sicher nicht jedermanns Sache. Jedoch überwiegt summarum das Positive: die Möglichkeit für die Menschen da zu sein, Gutes zu tun und ihnen zu helfen.

Wald, Wasser, Enge und die mittelalterliche Künstlerstadt

Morgens steht ein Frühstück da, wie ich es liebe. Viel verschiedenes Obst, Gemüse in allen Varianten, ein Stück Schwarzbrot und einen, nein es waren dann doch zwei Espressi! Das „Liesertal“ steht heute am Programm. Die „Lieser“ ist ein Nebenfluss der Drau und um die 50 Kilometer lang. Sie entspringt in den hohen Tauern und mündet bei Spittal in die Drau. Bis zur Ortschaft „Lieserbrücke“ muss ich mich entlang der B 99 aus der Bezirkshauptstadt herausquälen, denn erst ab dort gibt es den Rad- und Wanderweg. Ziel ist die mittelalterliche Künstlerstadt „Gmünd“, die aber noch etwas besonderes zu bieten hat. Aber dazu später. Am Waldweg kommen mir „glückliche Schweine“ und ein „Bock“ mit seinen Schafen unter. Und viel Wasser. Die Lieser ist ein richtig wildes Gewässer. So manchen Tschechen (erkenne sie an den abgestellten Fahrzeugen) erblicke ich bei der Ausübung des Nationalsports der Böhmen und Mähren: Wildwasserpaddeln!

Die „Lieser“, ein ungestümer Wildbach aus den Hohen Tauern kommend.
Glückliche Sau mit ihren neugierigen Ferkeln
Der Bock…
… und seine schlafenden Schafe

Zwischen meinem Ausgangspunkt und Gmünd liegt eigentlich keine Ortschaft, keine Siedlung und auch sonst kein Anziehungspunkt für Besucher. Nur bei Trebesing mache ich einen Abstecher. Das „1. Babydorf Europas“, wie die Touristiker ihre Gemeinde, nennen. Trebesing hat eine „Totaleinhausung“ der Autobahn erreicht. Die Menschen in dem Dorf sind nun vom Lärm und dem Gestank der Tauernautobahn befreit. Noch mehr aber. Darüber ist eine allgemeine Grünfläche mit einem Kinderspielplatz und Sportflächen entstanden.

Die begrünte Einhausung der Autobahn bei Trebesing. Die Fläche steht allen zur Verfügung.

Nach vielen Waldkilometern und häufigem Auf und Ab erblicke ich beim Ausgang aus dem Wald das Antlitz der Burg „Gmünd“ und dahinter das Panorama der Berge um das „Malta-Tal“ oder „Tal der stürzenden Wasser“, wie es noch genannt wird.

Erster Blick des Wanderers aus der Enge des Lieser-Tales auf die Burg Gmünd.

Die Gmünder Burg ist uralt. Sie spielte auch eine Rolle für die Besitzansprüche der Salzburger Erzbischöfe. Von der Burg aus wurde Recht gesprochen, also verwaltet und gerichtet. Der Pranger am Einfahrtstor ist ein stummer Zeuge davon. Es gab so manches hin und her, schlussendlich verfiel die Burg aber und sie wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts revitalisiert.

Im Mittelalter wurden zu recht und zu unrecht Verurteilte an diesen Pranger gestellt bzw. gekettet.. Heute glauben so manche „Gutmenschen-Medien“ die barbarische Aufgabe – des an den Pranger stellens – übernehmen zu müssen..

Die Stadt Gmünd liegt auf 740 m Seehöhe und hat zirka 2500 Einwohner. Sie ist der Schnittpunkt des Nationalparks Hohe Tauern und des Biosphärenparks Nockberge. Der historische Stadtplatz und die alten Stadtmauern geben der Stadt eine ganz besondere Ausstrahlung. Ich fühle mich gleich wohl in der historischen Stadt. Auf Schritt und Tritt begegne ich den Symbolen unserer Salzburger Fürsterzbischöfe. Besonders „Paris von Lodron“, wohl unser segensreichster Landesführer – fällt in Gmünd auf. Der Bischof hat Salzburg geschickt aus dem 30-jährigem Krieg heraushalten können. Sein Schloss, im Stadtinneren, beherbergt heute eine Schule und den Stadtsaal. Wohlbekannte Motive aus dem Mirabellgarten oder den Salzburger Befestigungsmauern sind auch zu sehen. Das Wappen des geschickten Staatsmannes:  der Löwe mit Brezelschweif!

Wappen von Fürsterzbischof Paris Lodron im Schlosshof in Gmünd: Der „Brezel-Schweif-Löwe“! Salzburgern auch aus dem Mirabellgarten bekannt.
Steinerner Löwe mit Brezelschweif im Schloss Lodron

Noch eine Besonderheit, vermutlich noch aus den Tagen des guten Kontaktes der Salzburger Fürsterzbischöfe zum Vatikan nach Rom, habe ich in einer Nische an der Burg entdeckt: allerdings noch nicht ausprobiert!

Via Gmünd gibt es offenbar den direkten Kontakt zum Papst

 

 

 

200 Kilometer in den Füßen

Paternion ist eine kleine, aber langgezogene Ortschaft. Besonders bemerkenswert ist der Brunnen am Marktplatz. Er ist aus weißem Mamor. Drei Steinbögen verbinden den Turm mit dem Brunnenrand. In der Mitte thront auf einem zinnenbekrönten Türmchen eine steinerne Fee mit einem Schlüsselbund. Das Motiv, sagt mir die Wirtin vom nebenstehenden Gasthaus Tell, entstammt einer alten Sage, wonach Hirten von einer Fee am Goldeck mit Schätzen reich beschenkt worden sind, jedoch darüber ein Schweigegelübde ablegen mussten. Nachdem einer seiner Geschwätzigkeit nicht Herr wurde und das Geheimnis verriet, verwandelte sich alles Gold und Silber zu Steinen. Die Hirten waren wieder arm, wie zuvor. „Tragisch“, so sagt die Wirtin weiter, verlief die Einweihungsfeier am 26. Juli 1914. Gerade während der Festansprache drang die Kunde von der Kriegserklärung an Serbien durch. Die Festgäste zerstreuten sich in alle Richtungen. Übrigens, der Stifterin des Brunnens, Anna Plazotta, war die steinerne Fee viel zu unzüchtig dargestellt, wodurch sie mit Künstler Konrad Campidell in Konflikt kam.

Der „Anna-Plazotta-Brunnen“ in Paternion erzählt die Sage wie Schafhirten von einer Fee mit Schätzen beschenkt wurden.

Ab Paternion geht es wieder Schritt für Schritt entlang der Drau nach Spittal an der Drau. Heute überschreite ich die 200 Kilometergrenze. Da ich acht Tage unterwegs bin, sind das durchschnittlich 25 Kilometer am Tag. Eine gute Distanz. Eine Distanz, die körperlich doch fordernd ist, eine Distanz aber auch, die es zulässt, offenen Auges und offenen Ohrs durchs Land zu wandern. Dort und da mache ich Umwege, um mir Kirchen, Kapellen oder Museen anzusehen. Das Schönste ist aber der Weg durch die Natur. Linker Hand ist die Drau und fast durchgehend befinden sich rechter Hand mehr als mannshohe Maisfelder. Dann wieder ein Bauerngehöft. Einer, der „Egger-Bauer“ bei St. Peter, ist auch ein begnadeter Holzfigurengestalter und umgibt seinen Hof damit.

Einsamer Weg entlang der Drau.
Holzfigurenbegeisterter Bauer bei St. Peter, nahe Spittal.
Krabbeltiere: „Marienkäfer“ oder „Holzkäfer“ ist hier die Frage?

Etappenziel ist heute Spittal an der Drau. Wegen der verkehrsgünstigen Lage ist das Drautal schon seit Jahrtausenden besiedelt. Hier kreuzen die Straßen aus Tirol, Friaul und Salzburg. Am „Lieserübergang“ wurde 1191 ein Spital für Pilger und sonstige Reisende gebaut. Den Grafen von Ortenburg ist diese soziale Tat zu verdanken. Um das Krankenhaus entstand eine Siedlung, die zur heutigen Stadt „Spittal“ erwuchs. Es war der Spanier Salamanca, der das Wahrzeichen von Spittal im 16. Jahrhundert errichten ließ. Das Schloss Porcia, dessen Name einer oberitalienischen Fürstenfamilie entstammt. Sie residierten auch bis 1918 in dem Renaissance-Juwel.

Schönstes Renaissance-Schloss nördlich der Alpen: Schloss Porica in Spittal an der Drau.

Am Abend treffe ich das Führungsduo des „Team Kärnten“ vor dem Schloss Porcia. Landesrat Gerhard Köfer und den Spittaler Stadtrat Gerhard Klocker. Beide sind schon im „Vorwahlmodus“. Kärnten wählt seinen Landtag am 4. März 2018. Stolz erzählt mir Stadtrat Klocker von Umfrageergebnissen für das Team Kärnten um die 15 Prozent der Wählerstimmen. Gerhard Köfer leiste in der Landesregierung eine solide Sacharbeit, was sich eben auch in den Umfrageergebnisse niederschlägt, ist der Stadtrat überzeugt. Ich freue mich, zwei alte Mitstreiter bei bester Laune und voller Optimismus wieder getroffen zu haben.  Auf meine Frage, wen sie bei der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 wählen werden, sagen beide nach dem „Ausschlussprinzip“, Grüne und Neos kommen nicht in Frage. Alles andere ist offen…

In alter Freundschaft mit dem Spittaler Stadtrat Gerhard Klocker und Landesrat Gerhard Köfer vom Team Kärnten.

Mit dem heutigen Tage endet meine Wanderung im Drautal. Ab morgen geht es bergaufwärts nach Gmünd. Nun folgen die wirklich alpinen Etappen, auf die ich mich schon sehr freue, aber auch gespannt bin, wie ich sie bewältigen werde können! Zum Abschluss der Spruch am Turm der „Altdeutschen Weinstuben“ aus 1902 in Spittal: „Am Abend wird man klug! Für den vergangenen Tag! Doch niemals klug genug, für den, der kommen mag!“

 

 

Entlang der und „über“ die Drau

Ohne zu frühstücken (das hätte es erst ab 8h gegeben) schnalle ich den Rucksack um und mache mich durch die Stadt Villach zur Drau auf. Sie begleitet mich friedlich fließend den ganzen Tag. Den Geh- und Radweg habe morgens noch für mich alleine, im Tagesverlauf aber begegnen mir unzählige Radler. Meinen Frühstückskaffee und das Semmerl dazu genieße ich in Puch an der Drau. Der Wirt und die Kellnerin mustern mich erstmal ordentlich, bevor sie fragen, was ich wünsche. Ich erzähle den beiden meine Geschichte und schon ist das Eis gebrochen. Andere „Morgenstammgäste“ lauschen bei ihrem Seidel Bier an der Bar ebenfalls meinen Erzählungen von den letzten Tagen und meiner Absicht nach Salzburg weiterzugehen. Den Blicken und Meldungen der Gäste ist von Ungläubigkeit „wenn ich dich ein Stückchen mit dem Lieferwagen mitnehme, würdest aber schon mitfahren?“, über nicht verbergbare Verwunderung (ein bisschen einen Vogel hat der aber schon) bis Bewunderung „das möchte ich auch gerne einmal machen, aber ich habe keine Zeit“ zu entnehmen. Jedenfalls allesamt herzliche Kärntner und sie wünschen mir zum Abschied ein gesundes Ankommen in Maria Plain. Ich schleife wieder an der Drau ein und mache mich nach Weißenstein auf.

Mein Tag entlang der Drau

Wie ich so Kilomenter um Kilometer dem Fluß entlang abspule, macht es plötzlich „klick“! Was sehe ich hier an den Ufern ständig, was mir aus Salzburg, aus der Berichterstattung bekannt ist? Ja, jetzt fällt der Groschen: Springkraut in Unmengen! Mir hat die Initative der Bewohner von Hof bei Salzburg imponiert, die in ihrer Gemeinde mit einer konstatierten, ehrenamtlichen Aktion vorm Sommer dem Springkraut den Kampf angesagt haben.

Die Pflanze stammt ursprünglich aus dem Himalayagebiet. Sie wurde eingeschleppt und verbreitet  sich bei uns wie verrückt. Ob in Salzburg, Bayern oder eben hier. Die Schädlichkeit besteht darin, dass das Springkraut extrem wuchert und alle anderen einheimischen Pflanzenarten verdrängt. Sogar die Brennessel kapituliert vor ihr. So sehr ich die Initiative von Heidi und Lois Buchner aus Hof schätze, beim Springkraut wird es wohl eines nationalen Schulterschlusses und Kampfplanes bedürfen, soll der eingeschleppte Schäding wirksam bekämpft werden. Der Hofer Gemeindekampf gegen das Springkraut möge allen ein Vorbild sein.

Springkraut, die invasive Pflanze aus dem Himalayagebiet breitet sich in ganz Österreich, Bayern, Kärnten und Europa explosionsartig aus.

Am Nachmittag mache ich mir Gedanken, in welcher Gemeinde ich heute Abend „meine Zelte aufschlage“. Gut anbieten würde sich der Raum um die Gemeinde Paternion.  Doch da stellt sich ein Problem. Ich gehe flussaufwärts rechts, aber die Drautalgemeinde liegt genau am anderen Ufer. So suche ich nach einer Brücke, jedoch kommt und kommt keine. Die Drau, hier um die zehn Meter tief und 30 Meter breit, kann man nicht so einfach queren. Positiv und frohsinnig denkend sollte sich aber bald eine Lösung ergeben. In Lansach sitzen vier Senioren an einer Hütte am Fluss. Schnell wird klar, dass es sich hier um die Anlegestelle der Draufähre handelt. Der Fährmann, ein gelernter Koch, der von Mai bis September für die Gemeinde Weißenstein über die Drau schippert, ist sehr freundlich, hilfsbereit und zugänglich. Beim Reden mit ihm und den Pensionisten verkauft er mir nicht nur die Überfahrt über die Drau, sondern auch noch eine Flasche Villacher Bier. Gesamtpreis € 3. Immerhin hat Bier ja auch isotonische Inhaltsstoffe, die dem Wanderer gut tun. Die Senioren erzählen mir, dass sie gerne und oft an der Anlegestation im Schatten an der Drau sitzen. Manchmal kommen mehr, manchmal weniger und manchmal auch gar keine Fährgäste. Auch bei schönem Wetter. An was das liegt, wüssten sie aber nicht.

Es wird Zeit! Als einziger Passagier werde ich mit der Zille über die Drau nach Feffernitz geschifft. Ich verabschiede mich dankbar mit einem „Schiff ahoi!“

Senioren beim Nachmittagstreff an der Anlegestelle Lansach
In der großen Zille werde ich alleine über die Drau von Lansach nach Feffernitz geführt.
Mein geschickter Fährmann, stolz mit der Kärntner Landesfahne über die Drau.

Weiter geht es am wunderbaren Treppelweg entlang der Drau nach Feistriz, wo ich übernachten kann.

Kühler, faszinierender Wanderweg entlang der Drau nach Feistriz

Von Grenzerfahrungen bis zum Alchimisten

Mein Wanderabenteuer in Italien geht dem Ende zu. So mancher Wegweiser ist schon mit „Austria“ beschriftet. Ich genieße nochmals das einzigartige Bergpanorma und freue mich diese fünf Tage in Friaul verbringen haben zu dürfen. Ganz allein war ich noch nie in Italien. Sicherlich ist es in Gesellschaft lustiger, aber ich habe mein Italienisch intensivieren können (müssen) und bin überall freundlichst aufgenommen worden. „Sono stato in un bel paese“, was soviel heißt, wie „ich bin in einem schönen Land gewesen“, sage ich mir glücklichen Schrittes vorwärts. Erstaunt bin ich über die hohe Motivation meiner Füße. Sie tragen mich ohne Schmerzen, jedoch die Anstrengung der vielen Kilometer nicht ignorierend.

Wie ich so auf die Grenze hinzu marschiere sehe ich ein hektisches Treiben. Italienische Soldaten, Carabinieri , Finanzpolizei und andere Amtsträger kontrollieren, teilweise mit Maschinenpistolen bewaffnet, die Einreise von Österreich nach Italien. Ein Foto mache ich vorsichtshalber nicht. Ich weiß, dass die Uniformierten in Italien da sehr heikel sind. Ich habe –  natürlich berufsbedingt interessiert – die Gesetzeshüter in ihren schicken Uniformen bereits öfters fotografiert. Wenn sie es merkten, dann stürmten sie sofort mit der Aufforderung „Elimina la foto“ auf mich. Ihr gutes Recht natürlich!

Warum die Italiener aber die Einreise von uns zu ihnen so scharf kontrollieren, wird für mich „höhere Mathematik“ bleiben.  Während die Einreise von Italien nach Österreich sichtlich unkontrolliert bleibt. Gibt es in der aktuellen Flüchtlingskrise wirklich Asylanten, die in Österreich etwa vom Himmel gefallen sein könnten und dann nach Italien drängen? Oder ist der Migrationsdruck nicht eindeutig gegenläufig zu uns und nach Deutschland ? Alles im allen ist das Versagen der UNO, der EU, der NATO und wie die anderen Institutionen auch sonst noch heißen mögen, erbärmlich. Jeder ertrunkene Asylwerber im Mittelmeer geht auf deren Rechnung. Fakturazeile:  „Erwiesene Unfähigkeit!“ Und die Polizei in den jeweiligen Ländern muss die Unfähigkeit der Politiker ausbaden.

Erste Wegweiser zeigen die Nähe zur Grenze nach Österreich an
Beeindruckendes Panorama Richtung Julischen Alpen an der Grenze bei Tarvis
Hier wird  von italienischer Seite aus Richtung Österreich scharf – sogar mit Maschinenpistolen – kontrolliert!

Unbehelligt in Kärnten angekommen, führt mein Weg über Thörl-Maglern nach Arnoldstein. Ein Espresso im Ortszentrum stärkt und wärmt mich. In der alpinen Gegend sind die Augusttage schon merklich frischer.  Ich liege gut in der Zeit und fasse den Beschluss, die heutige Tour „villachwärts“  zu verlängern. Wahrscheinlich etwas anstrengend, aber zu schaffen. Der Großteil meiner Strecke führt mich entlang des 2167 m hohen Berges namens“Dobratsch“. Ein riesiger Fels-Klotz, dessen Name aus dem slowenischen übersetzt „der gute Berg“ heißt. Er bringt für die Umgebung viel Gutes. Fast alles Quellwasser in den Wasserleitungen der Umgebungsgemeinden stammt von seinen Wasserspeichern. Auch das Wasser der Villacher Thermalquellen stammt von ihm. Gar nicht gut für die Menschen im Tal war aber der Felssturz von 1348. Mein Kollege Günther Janschitz, ein gebürtiger Gailtaler, machte mich auf die Tragödie im Mittelalter aufmerksam. 17 Gemeinden sollen damals durch einen gewaltigen Felssturz begraben worden sein. Ausgelöst durch ein Erdbeben stürzten 150 Millionen Kubikmeter Felsen und Steine auf die ungeschützten Menschen, wie zeitgenössische Quellen berichten.

Schicksalsberg „Dobratsch“. Seine Quellen bringen Trink- und Heilwasser – ein riesiger Felssturz verschüttete 17 Gemeinden

Bei angenehmem Wanderwetter geht es zügig voran. Im Örtchen „Pöckau“ darf ich dem Restaurator  und Kunstmaler Roland Munter etwas über die Schultern schauen. Er restauriert mit geübter Hand einen „Marien-Bildstock“.  Ein Meister seines Faches und ein Beispiel dafür, dass auch Männer durchaus „multitaskingfähig“ sind. Schafft er es doch gleichzeitig, am Bild zu malen, mit seiner Freundin zu telefonieren und mit mir zu sprechen…

Restaurator Roland Munter bei der Arbeit am „Marien-Schachern“

Meine Füße gehen und gehen. Am sechsten Tag ist das Gehen schon automatisiert. Villach liegt in greifbarer Nähe. Trotzdem zweifle ich, ob ich die Kilometer heute noch mache. Nachdem sich aber keine richtige Übernachtungsmöglichkeit auf dem Weg anbietet, steuere ich die „Draustadt“, die sich auch gerne „Braustadt“ (Villacher Bier!) nennt, an.  Am Weg des Drauufers baut sich gerade ein Zirkus auf. Auf den Zeltdächern wehen zwei EU-Fahnen. Die Lockerheit meines Gehens bestätigend ziehen unausweichlich ironische Gedanken auf: „Ist der EU-Zirkus nun von Brüssel und Straßburg nach Villach gezogen?“

EU-Fahnen-Zirkus  in Villach

Meinen spitzbübischen  EU-Ausflug schon wieder vergessend, schreite ich mit Rucksack und strammen Schrittes in die schöne historische Altstadt von Villach. Und als wollte es mich förmlich anziehen. Ich entdecke sofort die Gemeinsamkeit von Villach und Salzburg. Paracelsus! Unser Salzburger Arzt und Alchemist. Nach ihm ist der Platz neben dem Landtagssitz am Chiemseehof benannt.  1502 kam er mit seinem Vater nach Villach und erhielt erste Einblicke in die Medizin und in die Scheidekunst, wie die Chemie im Mittelalter bei uns hieß. Seit dem „Heimatkundeunterricht“ in der Volksschule ist in meinem Kopf die gelehrte ärztliche Weisheit von Paracelus verankert: „Die Dosis macht das Gift“ und „Keiner sei eines anderen Knecht, der sein eigener Herr zu sein vermag.“

 

 

 

Lange Haare, ein Hauptmann und der Schulbesuch

Noch vor Reisebeginn wollte ich zu meiner Haus- und Hoffriseurin „Helga“ – sie ist meine Schwester – aber irgendwie ist es sich nicht mehr ausgegangen. Heute morgen im Spiegel kann ich es nun doch genau sehen: „I miei capelli sono troppo  lunghi“  – meine Haare sind zu lang, vor allem für die Schlichtheit eines Wandersmanns. Glücklicherweise stoße ich schon früh an meinem Weg auf einen Friseur, Parrucchiere nennt man sie nun im Tal der Fella. Ich werde freundlich empfangen, aber auch bestaunt, als ich dem  Maestro mein Vorhaben, den Weg von Cormòns nach Salzburg schildere: „Vado da Cormòns a Salisburgo“. Vertrauensvoll liefere ich mich dem Friseurmeister mit den Worten „Taglia i capelli moderno“ haarmäßig völlig aus. Er schneidet, frisiert hin und her, seift die Koteletten ein, rasiert messerscharf im Gesicht und am Hals, gestikuliert im Gespräch so südländisch, wie einem Sizilianer, dem es um die Liebe geht… Unsere gegenseitig geachtete und ergänzte italienisch-deutsche Konversation lässt nicht alles genau verstehen, aber erahnen. Das Bemühen zählt. Nach rund 20 Minuten habe ich eine topmoderne Frisur! Seitlich kurz, oben etwas länger. Egal wie das Urteil des Betrachters ausfällt, pflegeleichter sind meine Haare jetzt auf jeden Fall!

Der erfahrene Parrucchiere verpasst mir einen modernen, italienischen Haarschnitt

Malborghetto (früher österreichisch Malborgeth) ist eine kleine, aber geschichtlich und kulturell interessante Stadt. Sie befindet sich „fella-aufwärts“ von Pontebba. Die Stadt gehörte einst den Bischöfen von Bamberg, was sich am Namen der Hauptstraße noch heute niederschlägt: „Via Bamberga“ heißt sie nunmehr.

Im Jahre 1880 hatte Malborgeth etwa 900 Einwohner. Davon waren 87 Prozent deutschsprachig und sieben Prozent slowenisch-sprachig. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Gemeinde politisch und sprachlich italienisiert.

Militärisch bekannt ist Malborghetto wegen der Niederlage Napoleons gegen Österreich im niederösterreichsichen Aspern 1809. Der 28-jährige Ingenieur Hauptmann Friedrich Hensel hielt mit nur 390 Soldaten die 15.000 Mann starken französischen Truppen an der Enge der Fella so lange auf, das sie in die Schlacht bei Aspern nicht mehr eingreifen konnten. Der Zeitverlust trug zum Sieg von Erzherzog Karl bei. So manche Denkmäler zeugen von der Angesehenheit des Hauptmannes. Kehrseite der Medaille: von 390 Österreichern, fielen 350 beim Widerstand gegen die Franzosen, darunter auch ihr militärischer Befehlsgeber.

Denkmal von Ingenieur Hauptmann Friedrich Hensel links vor der Einfahrt in der Tunnel der SS 13 nach Malborghetto. Seine Heldentaten brachten den Sieg Erzherzogs Karls gegen Napoleon.

Am Weg nach Tarivs freue ich mich auf eine besondere Einladung. Dipl.Ing. Karl-Heinz Moschitz und seine Frau Ursula haben mich zu einem Besuch in die alte österreichische Volksschule nach Tarvis-Grünwald eingeladen. Die Familie Moschitz gehört mit hunderten weiteren Aktivisten dem Kanaltaler Kulturverein an und sammelt Spenden für den Erhalt der kaiserlichen Schule aus dem Jahre 1905. Der reguläre Schulbetrieb wurde von der italienischen Verwaltung in den Siebziger Jahren eingestellt. Es folgte eine Verwendung als Wohnbau und später verfiel das Objekt mehr und mehr. Im Jahre 1999 bekam der Verein die Möglichkeit die Schule zu revitalisieren. Mit vielen privaten Spenden, aber auch mit Geldern des Landes Kärnten und dem Kärntner Heimatdienst und mit viel persönlichem Handwerkseinsatz der Vereinsmitglieder wurde aus dem hundertjährigen Bauwerk ein schmuckes Kästchen. Heute sind in der Schule Unterrichtsräume für den Deutschunterricht der Kinder und  eine Kindermalschule in deutscher Sprache eingerichtet. Weitere Ausbaupläne sind vorhanden und in Umsetzung. Natürlich wären noch weitere Spenden gut investierbar.

Nico mit seinem Kunstwerk „Angry Birds“ aus der virtuellen Welt in der Österreichische Schule in Tarvisio

Beim „Schulprojekt Gründwald“ in Tarvis ist der gute Zusammenhalt von „Dableibern“ und „Furtgehern“ wichtig, wie mir Obmann Moschitz erzählt. Nach der Aktion „Heim ins Reich“, von Hitler und Mussolini bis 1943 inszeniert, gab es im Kanaltal 5500 „Optanten“, die sich für einen Umzug nach Österreich entschieden hatten.  Die Umsiedler nannte man „Furtgeher“. Meistens waren es Beamte und Eisenbahner – das Regime drohte ihnen bei Verbleib mit dienstlichen Repressalien und Versetzungen in den Süden – oder Handwerker ohne eigenen Betrieb. Andere, die etwa Grund und Boden zu verlieren hatten, blieben im nunmehr italienischen Bereich des ehemaligen Österreichischen Kaiserreiches. Sie nannte man „Dableiber“. Dank der hervorragenden Arbeit von ehrenamtlichen Funktionären, wie der Familie Moschitz, sind die ehemaligen Gräben heute alle überwunden. „Dableiber“, „Furtgeher“, „Italiener“, „Slowenen“, „Altösterreicher“ und Gäste leben so friedlich und gedeihlich neben- und miteinander, wie es die Menschen im Tal der Fella mehr als 900 Jahre gewöhnt waren.

Karl Heinz und Ursula Moschtiz in der revitalisierten Volksschule
Das 1000 Jahre alte Wappen der Kanaltaler
Ehrentafel in der Schule für den Gründer Josef Dreyhorst

 

Meine Kilometer auf der alten „Pontafelbahn“

Auf der zirka 50 km langen Strecke zwischen Resiutta und Tarvis haben brave Pilger und Wanderer die Möglichkeit den Geh- und Radweg auf der aufgelassenen Eisenbahnstrecke Pontebbana zu benützen. Italien hat mit EU-Geldern einen wunderschönen Weg errichtet. Entlang der Ufer der Fella führt die asphaltierte alte Eisenbahntrasse über schwindelerregend hohe Brücken und viele Tunnels. Sehr angenehm ist der kontinuierliche Anstieg, hervorgerufen von den technischen Vorgaben für den Eisenbahnbetrieb, der keine starken Ansteigungen verkraftet. Die bis zu einem Kilometer langen Tunnels kühlen den Wanderer gut. Fast alle Tunnels werden ausgeleuchtet. Jedoch sind sie alle ein kleines Abenteuer für sich. Und in meinem Kopf spukt bei der Durchwanderung der alten Tunnels noch der Gedanke, dass dies alles von Ingenieuren vor langer Zeit geplant und mit viel Schweiß von Arbeitern gebaut worden ist. Wie viele kamen beim Bau ums Leben? Wie wohl das kaiserliche Dampf-Ross da durchgeschnauft ist? Wie viel Russ und Rauch der Lokführer und der Heizer abbekommen haben? Wie es den Fahrgästen erging? Wie hoch war der Rauchgasgehalt für alle? War kollektives Husten angesagt? Fragen, über Fragen, die sich der Wanderer stellt. Beeindruckt ist er aber auf jeden Fall. Unter dem Titel „Sono in un paese meraviglioso“  – „ich bin in einem wunderbaren Land“ ein paar bildliche Impressionen:

Asphaltierte alte Bahnstrecke: Geh- und Wanderweg
Im alten Bahnhof gibt es Erfrischungen
Der heutige Bahnhofsvorstand
Einer der vielen Tunneleingänge
Rasante Radlerin im Tunnel
Licht am Ende des Tunnels
Alte Stützmauern entlang der aufgelassenen Eisenbahn
Die alten Bahnwärterhäuschen verfallen…
… Ofen und Besen wären aber noch da!